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Brücken zwischen Alt und Jung

Als „lebendigen Gegenbeweis der Ellbogengesellschaft“ bezeichnete Klaus Korbmann von der Gemeindecaritas das Projekt „Schülerzeit“ im Rahmen eines Festakts zum fünfjährigen Bestehen. Menschen, die sich wie hier ehrenamtlich engagieren, lassen nach seinen Worten „Solidarität und Nächstenliebe sichtbar werden, ohne die unsere Welt ein Stückchen grauer und ärmer wäre“. Seit fünf Jahren gibt es „Schülerzeit“ im Würzburger Stadtteil Sanderau. Was als spontane Kooperation von Pfarrei und Schulpastoral begonnen hat, wird mittlerweile von vielen engagierten Menschen und Kooperationspartnern mitgetragen, die sich zum Wohl vieler vernetzen.

Bereits seit 2003 hatten sich in der Sanderau etwa 30 Ehrenamtliche im Rahmen des ökumenischen Nachbarschaftshilfe-Projekts „Eine Stunde Zeit“ regelmäßig für ältere Menschen engagiert. Als dann im Herbst 2006 eine Lehrerin der Max-Dauthendey-Schule anfragte, ob man einen Ehrenamtlichen kenne, der mit einem Erstklässler lesen üben könne, „erhielt die Sache plötzlich eine neue Dimension“, erzählt Pastoralreferentin Claudia Walter. Eine junge Mutter sagte spontan zu und nahm sich des kleinen Murat an. Nach wenigen Wochen konnte dieser fließend lesen.

Zeitgleich betreute auch die pensionierte Lehrerin Marianne Müller aus privatem Engagement heraus einen Grundschüler. „Vor allem Kinder, die es schwer haben im Leben und die aufgrund verschiedener Ursachen nicht so optimal durch das Elternhaus gefördert werden können wie sie es bräuchten, benötigen viel Zuwendung“, sagt sie. Um Mitstreiter für ihre Idee zu finden, verteilte sie handgeschriebene Flugblätter. Prompt meldeten sich drei Studenten, unter ihnen Judith Kiss, die weitere 15 Kommilitonen zur Mitarbeit motivierte. Gemeinsam wandte sich das Helferteam nun an die Schulen im Stadtteil: Sowohl im Kollegium der Max-Dauthenday-Schule wie auch der Goethe-Hauptschule stieß das Projekt auf offene Ohren und Herzen, und so konnte mit tatkräftiger Unterstützung von Helga Neudert von der Schulpastoral im Frühjahr 2007 der Startschuss für „Schülerzeit“ fallen: 22 Studenten, Pensionäre und berufstätige Menschen begannen damit, einen Grund- oder Hauptschüler für eine Stunde pro Woche zu unterstützen: Die Ehrenamtlichen helfen bei den Hausaufgaben, wecken Freude am Lesen, machen Mut für den schulischen Alltag und haben ein offenes Ohr für Sorgen. Als „neutraler“ Treffpunkt stehen Räume der Ritaschwestern zur Verfügung, die sich sofort bereit erklärt haben zu helfen.

Eine professionelle Basis erhält das Projekt dadurch, dass der Kontakt stets über die Schule hergestellt wird. Außerdem schließen Ehrenamtliche, Eltern und Klassenlehrer zu Beginn der Förderung einen Vertrag für die Dauer von sechs Monaten, in dem die Rahmenbedingungen festgelegt sind. Tatkräftig unterstützt wurde das Projekt von Anfang an durch die Gemeindecaritas, die Fachwissen vermittelt, für Versicherungsschutz und Auslagenersatz sorgt sowie regelmäßig Schulungen und Praxisreflexionen anbietet.

Ein besonders schönes Beispiel dafür, dass die Hilfe der Ehrenamtlichen auch wirklich dort ankommt, wo sie nötig ist, ist das von Evelyne. Nicht nur der Elfjährigen tue es gut, „dass da jemand ist, der weiterhilft“, erzählt Evelynes Mutter Barbara; auch sie selbst empfindet die Unterstützung als große Hilfe. Schon bald erzählte Evelyne „ihrer“ Studentin, dass sie gerne Geigespielen würde. Ihre Eltern hätten ihr diesen Wunsch nie erfüllen können, doch Evelynes Patin wusste Abhilfe und vermittelte eine Kommilitonin, die Evelyne nun kostenlos im Geigespiel unterrichtet.

Eine ganz neue Dimension bekam das Projekt im November 2007. Elisabeth Haberzettl, Klassleiterin einer 8. Klasse an der Goethe-Mittelschule, fragte in der Pfarrei St. Adalbero nach Möglichkeiten für ein ehrenamtliches Schüler-Engagement. Mit Handkuss vermittelte Claudia Walter ein ganzes Bündel an Arbeiten: Während die einen den Ritaschwestern ein Mal pro Woche PC-Nachhilfe erteilten, spielten andere im Kindergarten Fußball oder engagierten sich beim Umzug der Caritas-Kleiderkammer in den Kleiderladen. Zu den Jungs der ersten Stunde gehören auch die beiden ehemaligen Schüler Matthias und Andreas. Sie halfen damals dem Küster von St. Adalbero. Das Heckeschneiden, Rasenmähen und Laubfegen habe „unheimlich Spaß gemacht“, erinnern sich die beiden mit einem breiten Grinsen. Die körperliche Betätigung war für sie nicht nur Ausgleich zur Denkarbeit, sondern beide haben dabei gespürt, wie gut es tut, konkret etwas zu tun und Spuren zu hinterlassen.

Eine ganz ähnliche Motivation schwebte auch Norbert Langhans vor, als er vor sechs Jahren an der Goethe-Mittelschule ein Senioren-Projekt aus der Taufe hob, bei dem sich einige Schüler aus den 8. und 9. Klassen alle 14 Tage eine Stunde Zeit für alte Menschen nehmen. „Die Senioren im Seniorenzentrum am Hubland freuen sich riesig über die Besuche“, berichtet Langhans. Und auch die Jugendlichen profitieren davon: Christina und Steffi beispielsweise finden es „spannend“, alten Menschen zuzuhören: „Wir erfahren vieles aus der alten Zeit, was für uns neu ist – zum Beispiel wie man früher Wäsche gewaschen oder Brot gebacken hat“ – und das sei deutlich besser „als zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen“. Saban will das Ehrenamt sogar zum Beruf machen und eine Ausbildung zum Altenpfleger machen. „Bei ihren Besuchen erleben die Schüler, dass sie gebraucht werden und für andere Menschen wichtig sind“, resümiert Norbert Langhans. Zugleich vermittle man den Wert sozialen Engagements und schlage wichtige Brücken zwischen Alt und Jung.

Im Laufe der Jahre haben sich viele Kooperationspartner in das Projekt „Schülerzeit“ eingeklinkt: So sind mittlerweile Schülerhort und Mittagsbetreuung der Max-Dauthenday-Schule, der offene Ganztagsbereich der Goetheschule und der Offene Lerntreff des „Familientreffpunkts Sanderau“ beteiligt; das Aktivbüro der Stadt Würzburg vermittelt regelmäßig Ehrenamtliche an „Schülerzeit“ weiter, und der Sanderauer Bürgerverein unterstützt das Projekt durch Geldspenden.

Erstaunlicherweise bleibt die Zahl der Ehrenamtlichen trotz Fluktuation relativ konstant: Derzeit engagieren sind etwa 25 Menschen für Schüler, 15 Schüler setzen sich für ältere Menschen ein. Als Hauptmotivation für ihr Engagement nennen die Ehrenamtlichen durch die Bank „Freude und Spaß“. Hanni Friedmann und Gudrun Braun zum Beispiel wollten „etwas Sinnvolles mit Kindern“ tun. Berufschullehrerin Kathrin hat bereits als Studentin damit begonnen, eine Schülerin der Wirtschaftsschule zu begleiten. „Das Mädchen hat seitdem eine wahnsinnige Entwicklung durchgemacht“, berichtet sie sichtlich stolz. Obwohl der Lehrerin heute manchmal die Zeit fehlt, bleibt sie dabei, denn: „Ich kann hier genau das tun, was im Alltag leider oft zu kurz kommt, nämlich von Mensch zu Mensch helfen und individuell begleiten“.

Anja Legge